Dr. Jeannette Schmid: Persönlichkeitsfaktoren bei Fantasy-Rollenspielern - eine empirische Studie

Dr. Jeannette Schmid, Psychologisches Institut, Universität Heidelberg, (27.04.1995)


Persönlichkeitsfaktoren bei Fantasy-Rollenspielern – eine empirische Studie

In den Monaten März und April wurde eine psychologische Untersuchung bei Fantasy-Rollenspielern im süddeutschen Raum durchgeführt. Ziel war es, Daten über Persönlichkeitsmerkmale zu erheben.


1. Vorgeschichte

Neben einer soziologischen Arbeit von Kathe (1987) gibt es bisher nur sehr wenige Versuche, mit psychologischen Verfahren Rollenspieler zu untersuchen. 1987 wurde in den USA von Simón eine Studie mit 68 Rollenspielern durchgeführt, bei der es darum gehen sollte, die Auswirkungen von Rollenspielerfahrung (in Jahren) auf die Emotionale Stabilität zu überprüfen. Insgesamt zeigte sich ein durchschnittliches Persönlichkeitsprofil, das von dem der Normalbevölkerung in keinem Punkte bedeutsam abwich, auch nicht in dem der Stabilität. Der einzige Unterschied zwischen erfahrenen und neuen Rollenspielern ergab sich in dem Faktor, der Unabhängigkeit des Denkens und Experimentierfreude zu messen vorgibt – hier schnitten die langjährigen Rollenspieler besser ab. Allerdings wurde dabei nicht beachtet, daß diese meist auch älter sind.

Da der verwendete Fragebogen mittlerweile wegen einiger Schwächen kritisiert wird und die Studie schon eine Weile zurückliegt, erschien es sinnvoll, eine neue Untersuchung durchzuführen.

Ziel war die Überprüfung einiger Behauptungen, die häufig in Zusammenhang mit der Persönlichkeit von Rollenspielern bzw. der Auswirkung langjährigen Rollenspiels auf die Persönlichkeit der Spieler aufgestellt werden:

Behauptungen:

Ein neues Verfahren, das die entsprechenden Faktoren abdeckt, ist das NEO-Fünf-Faktoren-Inventar von Borkenau & Ostendorf.


2. Teilnehmer

Fragebögen wurden an Rollenspieler auf dem Dreieicher Rollenspiel-Treffen verteilt, sowie an mehrere Rollenspiel-Läden im süddeutschen Raum. Den Teilnehmern wurde in Aussicht gestellt, Zinnfiguren gewinnen zu können (vgl. das Deckblatt im Anhang). Die Zinnfiguren sind inzwischen verschickt worden.

Insgesamt 77 Fragebögen kamen ausgefüllt zurück, davon 74 von männlichen Rollenspielern, einer von einer Rollenspielerin ausgefüllt, zweimal gab es keine Angaben zum Geschlecht.

Das Durchschnittsalter betrug 21,8 Jahre, die Altersangaben reichten von 14 bis 37 Jahren. Im Schnitt spielten die Teilnehmer seit 7,2 Jahren Rollenspiel, die Spanne reichte von 1 bis 19 Jahren. Ihren Einstieg hatten die Spieler im Durchschnitt mit 14,5 Jahren (Spanne: 8 bis 25 Jahre).


3. Befunde
a. Mittelwerte

Jede der fünf Skalen Neurotizismus, Extraversion, Offenheit, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit wurde mit 12 Fragen erhoben, die von 0 bis 4 abgestuft waren (Starke Ablehnung bis Starke Zustimmung). Nur die Stellungnahmen, die den Neurotizismus betrafen, wurden überwiegend abgelehnt. Bei allen anderen Faktoren, insbesondere der Offenheit für neue Erfahrungen, überwog die Zustimmung.

Die Skalen werden von Borkenau und Ostendorf folgendermaßen charakterisiert (in den Kästen stehen Auszüge aus den Beschreibungen im NEO-FFI):

N = Neurotizismus

Die Skala erfaßt individuelle Unterschiede in der emotionalen Stabilität und der emotionalen Labilität (Neurotizismus). ... Der Kern der Dimension liegt in der Art und Weise, wie Emotionen, vor allem negative Emotionen, erlebt werden. Personen mit einer hohen Ausprägung in Neurotizismus geben häufiger an, sie seien leicht aus dem seelischen Gleichgewicht zu bringen. ... Sie berichten über viele Sorgen und geben häufig an, z.B. erschüttert, betroffen, beschämt, unsicher, verlegen, nervös, ängstlich und traurig zu reagieren. Sie neigen zu unrealistischen Ideen und sind weniger in der Lage, ihre Bedürfnisse zu kontrollieren. Emotional stabile Menschen haben diese Probleme kaum, sie beschreiben sich selbst als ruhig, ausgeglichen, sorgenfrei, und sie geraten auch in Streßsituationen nicht so leicht aus der Fassung.


E = Extraversion

Extravertierte sind gesellig, doch Geselligkeit ist nicht der einzige Aspekt dieser Dimension. Personen mit hohen Punktwerten in der Skala beschreiben sich zusätzlich als selbstsicher, aktiv, gesprächig, energisch, heiter und optimistisch. Extravertierte mögen Menschen, sie fühlen sich in Gruppen und auf gesellschaftlichen Versammlungen wohl, sie lieben Aufregungen und neigen zu einem heiteren Naturell.


O = Offenheit für Erfahrungen

Die Skala erfaßt das Interesse an, und das Ausmaß der Beschäftigung mit neuen Erfahrungen, Erlebnissen und Eindrücken, Personen mit hohen Punktwerten geben häufig an, daß sie ein reges Phantasieleben besitzen, ihre eigenen Gefühle, positive wie negative, akzentuiert wahrnehmen und an vielen persönlichen und öffentlichen Vorgängen interessiert sind. Sie beschreiben sich als wißbegierig, intellektuell, phantasievoll, experimentierfreudig und künstlerisch interessiert. Sie sind eher bereit, bestehende Normen kritisch zu hinterfragen und auf neuartige soziale, ethische und politische Wertvorstellungen einzugehen. Sie sind unabhängig in ihrem Urteil, verhalten sich häufig unkonventionell, erproben neue Handlungsweisen und bevorzugen Abwechslung.


V = Verträglichkeit

Ein zentrales Merkmal von Personen mit hohen Werten in der Skala ist ihr Altruismus. Sie begegnen anderen mit Verständnis, Wohlwollen und Mitgefühl, sie sind bemüht, anderen zu helfen und überzeugt, daß diese sich ebenso hilfsbereit verhalten werden. Sie neigen zu zwischenmenschlichem Vertrauen, zur Kooperativität, zur Nachgiebigkeit, und sie haben ein starkes Harmoniebedürfnis.


G = Gewissenhaftigkeit

Personen mit hohen Punktwerten auf dieser Skala beschreiben sich als zielstrebig, ehrgeizig, fleißig, ausdauernd, systematisch, willensstark, diszipliniert, zuverlässig, pünktlich, ordentlich, genau und penibel. Personen mit niedrigen Punktwerten beschreiben sich eher als nachlässig, gleichgültig und unbeständig, sie verfolgen ihre Ziele also mit geringerem Engagement.



b. Vergleich mit der Normalbevölkerung

Bei den gängigen Fragebögen gibt es im allgemeinen die Möglichkeit, auch Vergleich mit der Normalbevölkerung anzustellen, d.h. zu überprüfen, ob die Antwort einer speziellen Personengruppe vom Üblichen abweichen. Der NEO-FFI enthält Angaben über durchschnittliche Antworten von 2112 Befragten, die man hier als Vergleichswerte heranziehen kann.

Dabei muß man natürlich beachten, daß die Stichprobe von 77 Rollenspielern im Vergleich dazu sehr klein ist und etwaige Unterschiede bestenfalls Tendenzen aufzeigen können.

Im folgenden Säulendiagramm sind die durchschnittlichen Skalenwerte für beide Stichproben abgebildet.

Tendenzielle Unterschiede finden sich bei den Skalen Neurotizismus (leicht geringer bei den Rollenspielern) und Offenheit für neue Erfahrungen (höher bei den Rollenspielern).

Die naheliegende Vermutung, daß die Rollenspieler hier generell bemüht waren, ein möglichst positives Bild abzugeben, wird durch den Vergleich mit den Mittelwerten der Vergleichsstichprobe nicht gestützt, denn der sozial erwünschte Faktor Gewissenhaftigkeit war bei den Rollenspielern niedriger ausgeprägt.


c. Zusammenhänge mit der Spieldauer

Eine Frage, die schon bei der Studie von Simón im Mittelpunkt stand, war die Auswirkung von Rollenspiel über einen längeren Zeitraum auf die Persönlichkeit. Solange man keine Langzeitstudien zur Verfügung hat, ist man auf Querschnittsstudien angewiesen, die die Spieljahre mit den Faktorenwerten im Fragebogen in Zusammenhang bringen – für den Fall, daß Zusammenhänge auftreten, bleibt dennoch unbeantwortet, ob es sich um die Auswirkungen der Spieldauer oder darum dreht, daß womöglich früher ander Leute sich für Rollenspiele interessierten als heute.

Es gab einen leicht negativen Zusammenhang mit Extraversion, d.h. daß die langjährigen Rollenspieler etwas weniger extravertiert waren. Es gab hingegen deutlich positive Zusammenhänge zwischen der Offenheit für neue Erfahrungen und der Dauer des Rollenspiels. In einer seperaten Analyse wurde überprüft, ob dies womöglich stattdessen auf das in der Regel höhere Lebensalter der langjährigen Rollenspieler zurückgeführt werden konnte. Dies war jedoch nicht der Fall.


4. Fazit

Die behaupteten negativen Auswirkungen können durch die Daten nicht gestützt werden. Insofern sind die Befunde dieser Studie vergleichbar mit denen von Simón.

Auch wenn die “Ausbeute” nicht sehr hoch war, so tragen Studien wie diese hoffentlich dazu bei, daß die Diskussion um die Folgen des Rollenspiels in zukunft etwas sachlicher geführt werden kann.

Last not least soll noch einmal allen Teilnehmern und auch den Spieleläden, die es erlaubt hatten, daß ich die Fragebögen auslegte, gedankt werden.



Literatur:

Borkenau, P. & Ostendorf, F. (1993). NEO-Fünf-Faktoren-Inventar (NEO-FFI) nach Costa und McCrae. Göttingen: Hofgrefe.
Kathe, Peter (1987). Struktur und Funktion von Fantasy-Rollenspielen. Friedberg: Club für Fantasy- und Simulationsspiele e.V.
Simón, Armando (1987). Emotional Stability Pertaining to the Game of Dungeons & Dragons. Psychology in the Schools, 24, 329-332.



Anhang:

1. Seite des Fragebogens (Instruktion)






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Quellen über Rollenspiele
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